Der Grüffelo/Grüffelokind (2010/2011) nach der gleichnamigen Geschichte von Julia Donaldson (mit Stefan Lienenkämper) für Ensemble und Puppenspieler
UA:  19. Juni 2011 Philharmonie Berlin, Scharoun-Ensemble, Hans-Wurst Nachfahren


Der Grüffelo ist ein liebenswertes Monster, das die englische Kinderbuchautorin Julia Donaldson erdacht hat. Doch halt: Genaugenommen ist es eine listige Maus, die in dem mittlerweile in über 25 Sprachen übersetztem Buch Der Grüffelo ein zottiges Wesen mit »feurigen Augen«, »knotigen Knien« und »Stacheln am Rücken« erfindet – um sich nämlich vor den anderen Tieren des Waldes zu schützen. Wenn Fuchs, Eule und Schlange beim Anblick der Maus das Wasser im Mund zusammenläuft, dann erzählt das gewitzte kleine Tier von einem großen, gefährlichen Freund.Und alle nehmen vor Schreck Reißaus. »Dabei gibt’s ihn doch gar nicht, den Grüffelo«, muss die Maus jedes Mal lachen – bis er ihr eines Tages leibhaftig über den Weg läuft. Denn es gibt ihn doch, den Grüffelo! Zumindest in der Fantasie von Julia Donaldson und ihrem Illustrator Axel Scheffler. Und er hat sogar Nachwuchs, von dessen Abenteuer die Autoren in dem Buch Das Grüffelokind erzählen. Beide Geschichten – Der Grüffelo und Das Grüffelokind – hat die Komponistin Iris ter Schiphorst unter Mitwirkung ihres Kollegen Stefan Lienenkämper im Auftrag der Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker zur Grundlage eines zweiteiligen Musiktheaterstücksfür Kinder und Erwachsene gemacht. Der Grüffelo nach der gleichnamigen Geschichte von Julia Donaldson wurde im 4. Familienkonzert der Berliner Philharmoniker am 19. Juni 2011 uraufgeführt – vor einem zwar nicht mucksmäuschenstillen, aber restlos gebannten Publikum. Mit dabei waren Mitglieder und Gäste des Scharoun Ensemble.
Von Mark Schulze


»Es war mucksmäuschenstill im Saal ...« So oder so ähnlich beginnen viele Berichte von Konzerten für Kinder und Jugendliche. Im Fall des 4. Familienkonzerts der Berliner Philharmoniker wäre dieser Anfang allerdings geschwindelt. Denn die Jüngsten im Publikum waren viel zu aufgeregt, um still und regungslos auf ihren Sitzen zu bleiben. Schließlich warteten sie mit Spannung auf die Begegnung mit dem Grüffelo und seinem Kind – Figuren, die viele der Kinder bereits aus Büchern kannten und die nun zwei Hauptrollen im Familienkonzert spielen sollten. Die dritte Hauptrolle – und damit sind wir schon wieder beim Anfang – übernahm jedoch eine kleine und gar nicht leise Maus ...


Das Education-Programm derBerliner Philharmoniker:Und es gibt ihn doch! Eine Begegnung mit dem Grüffelo Berliner Philharmoniker – das magazin September / Oktober 2011

Petra Goldkuhle

Das Scharoun Ensemble Berlin, welche die für Klarinette, Horn, Violine, Violoncello, Kontrabass und Klavier geschriebene Partitur zum Klingen brachten, sowie das Berliner Puppentheater »Hans Wurst Nachfahren«, das für die szenische Realisation verantwortlich zeichnete - beideFormationen waren von Anfang an an dem Projekt beteiligt, ja mehr noch: Sie riefen die Grüffelo-Musik eigentlich ins Leben.Denn Mitglieder der Berliner Philharmoniker, die mit ihren Kindern Vorstellungen im Theater »Hans Wurst Nachfahren« am Winterfeldplatz in Schöneberg besucht hatten, schlugen den Puppenspielerinnen und Puppenspielern eine Zusammenarbeit vor – und liefen damit offene Türen ein:»Seit es uns gibt«, betonen die Theatermacher im Programmheft zum Familienkonzert der Berliner Philharmoniker, »hatten wir eigentlich den Wunsch, ein Puppentheaterstück mit Musik zu machen.« Ein Wunsch, der nun in Erfüllung ging. Auch die Idee, die Abenteuer von Grüffelo und Grüffelokindzur Grundlage eines musikalischen Puppentheaterstücks für Kinder und ihre erwachsenen Begleiter zu machen, wurde bei den ersten Gesprächenzwischen dem Scharoun Ensemble und »Hans Wurst Nachfahren« geboren. Eine Wahl, mit der die Komponistin Iris ter Schiphorst mehr als glücklich war. Denn als sie von der Education-Abteilung in der Berliner Philharmonie den Auftrag erhielt, ein Kinderstück für die beiden Ensembles zu schreiben, und sich in die Bücher von Julia Donaldson und Axel Scheffler einlas, war sie von Charme und Witz der Grüffelo-Geschichtensofort begeistert. Und ebenso angetan war sie von der Idee, Musik für Puppentheater zu komponieren.Denn Iris ter Schiphorst war in ihrer Kindheit selbst eine passionierte Puppenspielerin, die mit ihren Freundinnen Stücke schrieb und zur Aufführung imelterlichen Wohnzimmer brachte. Nun sollte es aber der große Saal der Philharmonie sein, in dem die szenische Uraufführung von Grüffelostattfand. Regie führte Siegfried Heinzmann, der mit sichtbarer Liebe, Detailfreude und Spaß an der Sache auch selbst die Puppen hergestellt sowie die ebenso kleine wie raffinierte Bühne entworfen und gebaut hat. Eine theatergerechte Spielfassung von Julia Donaldsons Grüffelo-Büchern hatte die Autorin und Dramaturgin Barbara Kilian erstellt, die das Theater »Hans Wurst Nachfahren« gemeinsam mit Siegfried Heinzmanngründete und bis heute leitet. Darüber hinaus erweckte sie als Puppenspielerin zusammen mit vier Kolleginnen und Kollegen ihres Ensembles die Erlebnisse von Grüffelo und Grüffelokind bei den Aufführungen in der Philharmonie zu szenischem Leben.Iris ter Schiphorst hat unter Beteiligung von Stefan Lienenkämper dazu eine liebenswert pfiffige und äußerst suggestive Musik komponiert. Das Gerüst der Partitur bildet der nahezu unveränderte Text von Julia Donaldsons Grüffelo-Büchern, der von den Puppenspielerinnenund Puppenspielern in verteilten Rollen gesprochen, durch die Musik auf vielfältige Art und Weise illustriert, kommentiert und in seiner kindgerechtenpoetischen Kraft der deutschen Übersetzung von Monika Osberghaus unterstützt wird. Doch Iris ter Schiphorsts fein ziselierte Partitur hangelt sich keineswegs am gesprochenen Text entlang. Schon die instrumentale Einleitung zu ihrer Grüffelo-Musik – eine in vielen Farben changierende Naturschilderung, für die das Theater »Hans Wurst Nachfahren« eine bezaubernde szenische Umsetzung gefunden hat – ist Bühnenmusik vom Feinsten. Wenn man dann noch die listige Maus prahlen, die hinterhältige Schlange zischen oder den Grüffelo durch den Wald stapfen hörte (und sah), war die Illusion perfekt – und das, obwohl die Puppenspielerinnen und Puppenspieler von »Hans Wurst Nachfahren« sich nicht unter oder über der Bühne versteckten, sondern jederzeit sichtbar waren. Wie gesagt: Mucksmäuschenstill war es nicht bei der Uraufführung von Grüffelo. Aber das gehört zurTradition des Kinder- und Puppentheaters, in dem das Publikum den Akteuren auf der Bühne ruhig einmal ein lautstarkes »Pass auf!« oder »Lauf weg!«zurufen darf. Und auch dazu kam es natürlich bei den drei Vorstellungen von Grüffelo am 19. Juni. Die Geschichte war aber auch aberwitzig und bot reichlich Anlass für unterschiedlichste Zwischenrufe von Groß und Klein: Eine schlaue Maus erfindet zu ihrem eigenen Schutz ein Monsterwesen, das ihm urplötzlich selbst gegenübersteht. Und ausgerechnet dieser, mit »schrecklichen Klauen« und einer »giftigen Warze« ausgestattete Unhold erzählt seinem Grüffelokind dann von der »großen, bösen Maus«. Bis der Sprössling beschließt, der Sache selbst auf den Grund zu gehen: Gibt es diese Maus, die dem großen Grüffelo solche Angst einjagt, oder gibt es sie nicht? Natürlich gibt es sie! Und den Grüffelo und das Grüffelokind?Die gibt es auch! Oder etwa doch nicht …?

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