Die Gänsemagd (2009) Kinderoper nach den Brüder Grimm (Libretto: Helga Utz)
für 1 Sopran, 2 Mezzosoprane, 1 Bass, 1 Schauspieler, B-Klarinette (auch Kontrabaßklar.), Violoncello, Akkordeon, Sample-Keybaord
60 Minuten inkl. Pause / ab 6 Jahre
UA:  18. 2. 2010, Dschungel, Wien Museumsquartier
REGIE: Jewgenij Sitochin / LIBRETTO: Helga Utz / BÜHNENBILD: Roland Olbeter / LICHT: Bernd Purkrabek / REGIEASSISTENZ: Barbara Schenter / MITARBEIT BÜHNENBILD: Esterina Zarillo / DARSTELLERINNEN, SÄNGERINNEN: Anna Manske, Theresa Dlouhy, Martina Supper, Wilfried Zelinka / Ulfried Staber, Sönke Schnitzer / MUSIKERINNEN: Christoph Grund, Reinhold Brunner, Alfred Melichar, Maria Frodl


Presse
Eine Bilderbuchgeschichte wird lebendig (aus Kurier für junge Menschen, 19.2.2010)
Taschenoper-Version der ‘Gänsemagd’ bewegt Kinder
Zugabe!” riefen die Kinder spontan im vollbesetzten großen Saal des Dschungel Wien. Eben war die allererste Vorstellung der musikalischen Version der “Gänsemagd” zu Ende gegangen. Eineinhalb Stunden (mit Pause) hatten die Kids die lebendig gewordene Bilderbuchgeschichte der Wiener Taschenoper konzentriert und angespannt verfolgt.Die Bühne wird dominiert von einem riesigen Art Bilderbuch für di einzelnen Szenen der Geschichte von einer Kammerdienerin, die sich zur Prinzessin aufspielt. Herumkommandieren will sie auf dem Weg zum und vor allem im benachbarten Königreich, wo die Hochzeit mit dem dortigen Königssohn, einem rechten Tollpatsch, ansteht. Die echte Prinzessin wird zur namensgebenden Gänsemagd nachdem sie schwören musssten, keinem Menschen von dem Zwangsrollentausch zu erzählen.
Kommandowütig

Prinzessin, Gänsemagd und das Pferd Fallada Prinzessin, Gänsemagd und das Pferd FalladaIm Weg steht “nur” Fallada, das sprechende, treue Pferd. Also ordnet die falsche Prinzessin an, es zu töten - eine genial gespielte, doch echt ängstigende Szene.Über allem thront in dieser Inszenierung aber die Musik. Christoph Grund (Keyboard/Samples), Reinhold Brunner (Bassklarinette, Saxophon), Maria Frodl (Cello) und Alfred Melichar (Akkordeon) sitzen auf einem erhöhten Podest hinter/über dem riesengroßen Bilderbuch. Die Darsteller_innen - Anna Manske (Königstochter), Theresa Dlouhy (Kammermädchen), Martina Supper (Kürtchen, Mutter), Wilfried Zelinka / Ulfried Staber (König/Schlächter), Sönke Schnitzer (Fallada, Prinz) - singen manche ihrer Auftritte, wunderbar eingebettet, nie aufgesetzt. Wie von der Wiener Tachenoper auch schon in den vorangegangenen Produktionen (unter anderen: Das tapfere Schneiderlein, A house full of music) gewohnt, zeichnet sich diese Version des Grimm’schen Märchens durch anspruchsvolle und dennoch nicht überfordernde Musik aus, keine sogenannten lieblichen Kinderliedchen. (…)Über dem Buch spielen die Musiker_innenZur Berliner Erstaufführung im Radialsystem V schrieb Kai Luehrs-Kaiser für das Kulturradio (15. 3. 2010):Das Erfolgsgeheimnis der Gänsemagd ist geradezu: Neue Musik. Obwohl Iris ter Schiphorst grenztonal komponiert, beherrscht sie den (im Vertrauen gesagt: genialen) Trick, durch Wiederholung einzelner, krummer und schiefer arioser Phrasen für Eingängigkeit und Wiedererkennbarkeit zu sorgen. Da lupenrein textverständlich gesungen wird, folgen die Kinder (spätestens ab sechs Jahre) wie gebannt der Gänsemagd, die eigentlich eine Prinzessin ist…Phantasie mit PferdekopfDie Süddeutsche Zeitung (20.3. 2010)  schrieb:Mit dem Märchenbuch auf die Bühne: Iris ter Schiphorsts Kinderoper von der „Gänsemagd” im Berliner Radial SystemEin Pferdekopf, an die Wand genagelt, der warnend seine Stimme erhebt, eine Prinzessin zur Gänsehirtin degradiert, das Taschentuch ihrer Mutter mit den drei sprechenden Blutstropfen, die böse Magd, die am Ende bestraft wird – Märchenphantasien erzeugen Angstlust, Magie und tiefere Bedeutung. Phantasie sei das wichtigste, „wenn man das Leben bewältigen soll”, sagt Librettistin Helga Utz über den Sinn von Märchen für Kinder. Und für die Komponistin der Kinderoper „Die Gänsemagd” nach den Gebrüdern Grimm, die Hamburgerin Iris ter Schiphorst, ist hier am wichtigsten: die Einsamkeit der Prinzessin, „ihre innere Stärke, die am Ende auch belohnt wird”. Kinder verstehen das unmittelbar.Mit der Märchenaufführung gastiert die „Taschenoper” aus Wien im Berliner Radialsystem am Ostbahnhof, nur drei Wochen nach der Wiener Uraufführung. Das mobile Theater Taschenoper kümmert sich seit Jahren systematisch um das Genre Kinderoper, und Berlin will daran partizipieren. Jochen Sandig als Veranstalter des Kulturzentrums Radial System hat die Wiener Aufführung sogar koproduziert. Und er hat im Unterschied zu Wien, wo die Taschenoper im „Dschungel” spielt, einer kleinen Halle im Wiener Museumsquartier, das weitaus größere Haus zur Verfügung, das jetzt am frühen Abend mit Kindern ab sieben und ihren Eltern ziemlich lautstark gefüllt ist.Musikprojekte mit Kindern und Jugendlichen werden landauf landab zur zentralen Aufgabe kultureller Erziehung – und für die klassische Musik langfristig zum elementaren Überlebensmittel, Schlüsselwort Education. Gerade haben die Dirigenten und Intendanten der großen Berliner Musikinstitutionen versucht, ein Zeichen zu setzen – mit dem offenen Brief an den Bildungssenator der Hauptstadt, in dem sie vehement gegen den Abbau des Musikunterrichts an den Schulen Berlins protestieren. Das Projekt Kinderoper, das die drei Opernhäuser Berlins mit unterschiedlicher Intensität betreiben, kann nur ein Teil der dringlichen Animationsarbeit sein, aber ein unschätzbar wichtiger, wenn die Voraussetzungen gut und richtig sind.Dem Nachwuchs nur das BesteDass sie hier stimmen, dafür sorgt diese Produktion. Für Iris ter Schiphorst, die neben Klavier, Komposition und elektronischer Musik auch Philosophie und Kulturwissenschaften studiert und es mit ihren Stücken bis nach Donaueschingen geschafft hat, ist bei einer abendfüllenden Kinderoper oberstes Gebot die künstlerische Qualität, die Einlösung „höchster ästhetischer Ansprüche”. Das ist ihr brillant gelungen. Sie hat eine Kinderopernmusik geschrieben für fünf Solorollen und nur vier Instrumentalisten, die auf einem erhöhten Podium im Bühnenraum, für alle Zuschauer sichtbar, spielen: Violoncello, Klarinette, Akkordeon sowie Keyboard und Samples (musikalische Koordination Christoph Grund).So erklingt eine plastisch geformte, keck-avantgardistisch durchorganisierte, dabei nie „kindlich” sich anbiedernde Musik. Wenn sie sich in dissonante Spannungen zuspitzt, tut sie es klugerweise in Wiederholungen und ostinaten Klanggesten, sodass auch ungeübte Hörern sie mit Lust erfassen können. Kleine vergnügliche Walzer oder Märsche helfen der Verständlichkeit auf. … Die Solisten (etwa Anna Manske als Königstochter und Theresa Dlouhy als Magd) spielen die Märchenrollen beschwingt, leichtfüßig, dabei nie affig; gesungen wird resolut und jederzeit wortverständlich. Die Mischung aus Gesang und Sprechen ist genau dosiert, die Handlung kommt flott auf die Bretter (Regie: Jevgenij Sitochin, Ausstattung: Roland Olbeter). Von Szene zu Szene werden Seiten eines großen bunten, auf der Bühne gerade stehenden Buches umgeblättert. Mehr visuelle Chiffren für das grausige Stück braucht man offenbar nicht, um Kinder anderthalb Stunden an Märchen und Magie zu fesseln. Im Berliner Radial System gibt es schon kühnere Zukunftspläne – dem „Tapferen Schneiderlein” soll sogar ein John-Cage-Projekt für Kinder folgen. WOLFGANG SCHREIBERDie TAZ schrieb:KINDEROPER Die Wiener Taschenoper gastierte im Radialsystem mit der “Gänsemagd” von Iris ter Schiphorst nach den Brüdern Grimm…Die Taschenoper macht sich schon seit ein paar Jahren um die Weiterentwicklung der Kinderoper verdient. Statt auf tradiertes Material zurückzugreifen, werden gezielt Kompositionsaufträge vergeben. Dabei sind zwei Bedingungen einzuhalten: Das Stück muss ohne Dirigent aufzuführen sein, und die Zahl aller Mitwirkenden darf zehn nicht überschreiten.Im ausverkauften Radialsystem ist hoch oben im Bühnenhintergrund eine Plattform für die vier MusikerInnen aufgebaut. Das Bühnenbild selbst, so praktisch wie schön, ist als aufklappbares Buch gestaltet. Die DarstellerInnen bedienen es selbst, wozu jedes Mal ein Gang über die halbe Bühnenbreite notwendig wird - nur einer der vielen kleinen szenischen Scherze. Es wird überhaupt oft gelacht, Kinder wie Erwachsene haben ihren Spaß am Witz von Libretto (Helga Utz), Musik (Iris ter Schiphorst) und Inszenierung (Jewgeni Sitochin). Dass sich ausgerechnet aus der “Gänsemagd”, einem der poetischsten, aber auch traurigsten Grimm-Märchen (”Oh, du mein Fallada, da du hangest?”), so viele humoristische Funken schlagen lassen, ist ein echtes Opern-Aha-Erlebnis.Der alte König, dem zu verdanken ist, dass die arme Gänsemagd - eigentlich Prinzessin - in ihrer wahren Identität erkannt wird, wird von Ulfried Staber als gutmütiger, leicht seniler Trottel gegeben. Er ist der einzige männliche Sänger auf der Bühne, denn der Prinz (Sönke Schnitzer, auch als Pferd Fallada unterwegs) kann nur sprechen und ist zudem so kurzsichtig, dass er es nicht immer schafft, unfallfrei an der Klappbühne vorbeizukommen. Das ist im Übrigen nicht nur lustig, sondern auch eine plausible Erklärung dafür, dass er sich im Märchen zuerst ohne Zögern mit der falschen Prinzessin, nämlich der bösen Kammerjungfer zusammentut.Die humoristische Anlage der Neben- bzw. Männerrollen mildert die Dramatik des Konflikts zwischen den Frauen, den erzwungenen Rollentausch von Königstochter und Kammerzofe. Theresa Dlouhy als Kammerjungfer hat Gelegenheit und nutzt sie redlich, die Bosheit ihrer Figur ins Hysterische zu übersteigern. Ihrem Koloratursopran hat die Komponistin die tiefere Mezzopartie der melancholischen Königstochter (Anna Manske) gegenübergesetzt, die Frauenrollen damit auch im Stimmtemperament deutlich voneinander abgegrenzt. (Ein markanter Unterschied zur traditionellen Oper, in der die Heldin immer Sopran ist).Genau genommen ist es gar keine Oper, sondern ein Singspiel, das gegeben wird. Gesprochene Szenen wechseln mit Gesangspartien ab, und selbstverständlich gibt es nichts, das einer Arie ähnelt. Die Kinder haben sich nicht gelangweilt und bedanken sich am Schluss mit engagiertem Fußgetrappel… KATHARINA GRANZINInterview im TipDie “Gänsemagd” im Radialsystem   Das Radialsystem startet mit “Gänsemagd” eine Reihe mit Opern für Kinder. Die Komponistin Iris ter Schiphorst hat die Musik dazu geschrieben. Sie hat uns erklärt, welche Komponisten Kinder besonders liebentip Worauf muss man besonders achten, wenn man für Kinder komponiert?Iris ter Schiphorst Dass es nicht zu schwer wird. In keinerlei Hinsicht.tip Das heißt?Iris ter Schiphorst In Bezug auf die Besetzung gab es die Vorgabe, mit allerhöchstens zehn Personen auf der Bühne und ohne Dirigenten auszukommen. Im Vorfeld haben wir uns alle über stilistische Fragen ausgetauscht. Wir finden, dass es zwischendurch auch ruhig mal richtige Lieder und poppige Elemente geben darf. Die Kinder im Publikum waren zwar immer mitgedacht, spielten aber beim Kompositionsprozess selbst gar keine so große Rolle.tip Das Radialsystem startet mit der “Gänsemagd” eine neue Reihe mit Kinderopern. Erreicht man Kinder damit überhaupt?Iris ter Schiphorst Aber ja! Bei der Uraufführung der “Gänsemagd” letzten Monat in Wien konnte man sehen, wie sehr die Kinder mitgehen, Position beziehen und unmittelbar am Geschehen teilnehmen. Das war ein tolles Erlebnis.tip Der Zugang von Kindern zu Musik scheint heutzutage eher über Castingshows im Fernsehen zu laufen. Kann eine Oper dagegenhalten?Iris ter Schiphorst Natürlich kann Kinderoper einen ganz anderen Zugang zur Musik bieten, sie verwebt Musik mit einem für Kinder interessanten Inhalt. Davon abgesehen stellt sich mir in diesem Zusammenhang die Frage, ob wir das Bedürfnis zu singen, das ja offenbar vorhanden ist, oder auch das Bedürfnis nach Liedern ganz und gar der Unterhaltungsindustrie überlassen wollen. Ist es nicht vielleicht für Komponis­ten an der Zeit, über Melodie (in der Neuen Musik ja eher ein Schimpfwort) und Lied noch einmal neu nachzudenken?tip Wie wichtig ist Singen für Kinder?Iris ter Schiphorst Singen halte ich für etwas ganz Elementares und Wichtiges, in jederlei Hinsicht – und finde es wahnsinnig schade, nein: fahrlässig, dass immer weniger mit Kindern gesungen wird. Manchmal glaube ich, dass das auch mit dem gestörten Verhältnis der Deutschen zu ihrem Liedgut zusammenhängt. In meiner Familie war Singen etwas ganz Normales, wenn wir zum Beispiel einmal im Jahr mit dem Auto zu unseren Großeltern nach Holland fuhren, haben wir auf dem langen Weg dahin die ganzen Lieder geschmettert, die wir konnten.tip Welche klassischen Komponisten sind denn besonders kindgerecht?Iris ter Schiphorst Ich kenne Kinder, die gerne Bach hören, andere Debussy oder Mozart, ich selbst mochte als Kind Beethoven am liebsten. Kinder sind für vieles offen, übrigens auch für die sogenannte Neue Musik. Man muss es ihnen einfach nur zu hören geben.tip Die “Gänsemagd” ist dabei auf den ersten Blick eher schwe­rer Stoff. Eine Prinzessin, die ganz alleine auf sich gestellt ist und von ihrer Magd hintergangen wird. Und ihr bester Freund, ein Pferd, wird ermordet.Iris ter SchiphorstJa, das stimmt; die Prinzessin gerät in höchste Seelennöte, wird betrogen und verraten. Das sind Abgründe an Traurigkeit und Verlust und manchmal schwer aushaltbar für Kinder. Dafür bzw. dagegen gibt es in unserer Oper aber auch sehr heitere, sehr komische Momente. Den alten lustigen König, einen etwas trotteligen Prinzen und natürlich Falada, das von allen Kindern geliebte Pferd.tip Am Ende wird allerdings die Magd in einem Fass voller Nägel zu Tode geschleift.Iris ter Schiphorst Das ist bei uns aus wohl einsehbaren Gründen nicht ganz so drastisch. Dennoch: Die Magd ist eben die Böse, sie muss hart bestraft werden, Märchen sind da ganz eindeutig! Und Kinder sehen das genauso! Sie finden diesen Schluss gerecht.Interview: Björn TrautweinFotos: Pia Clodi

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