meine-keine lieder/die aufgabe von musik (2014) für Inge Müllerfür verstärkte Frauenstimme/Performance, Klavier/Sample-Keybaord (1 Spieler) und Bassklarinette UA: 14. März 2015, Stuttgart, Salome Kammer, Akiko Okabe, Sebastian Manz


Kompositionsauftrag der Hugo Wolf Akademie Stuttgart


Programmhefttext:

meine-keine lieder/die aufgabe von musik

für Inge Müller

versteht sich als eine wissenschaftlich-künstlerische Auseinandersetzung mit dem ‚geistigen Klima’ der Lebenszeit von Inge Müller (1925-1966) in Deutschland mit Schwerpunkt auf der NS-Zeit und ihrer Rezeption in den 60iger Jahren, vor allem durch Hannah Arendt .

Gleichzeitig ist diese Komposition  auch als eine Art ‚Hommage’ an Inge Müller zu verstehen, deren Gedichte (‚Meine Mutter wollt mich nicht haben, sowie ‚Ich steht mit einem Bein am Grab’)  ganz in diese Arbeit mit aufgenommen wurden.

***

Was sich hier als Beschreibung meiner Arbeit recht ‚einfach’ liest, war ein äußerst

komplizierter Prozess, der mich zwischendurch manches Mal an den Rand des Aufgebens gebracht hat.

 
Besondere Schwierigkeiten bereiteten mir die ‚Rahmenbedingungen’ des Auftrags:
Das fing  schon mit dem Namen und der Selbstdefinition des Auftraggebers an:

Internationale ‚Hugo Wolf- Akademie’ (!), ein Verein, der sich „dem deutschen Kunstlied verschrieben hat“, d.h. dem Inbegriff deutscher romantischer Musik, mit allem, was damit zusammen hängt  - seinem ‚Ausdruck’ (‚Empfindsamkeit’!!), der Verschmelzung von Text und Musik, einer bestimmten Aufführungspraxis, der Expression der singenden Person auf der Bühne, dem ‚Interpretationskult’,  etc. – kurz: dem ganzen „Geschichtsschrott“, der – so  der Schriftsteller Marcel Beyer in einem Interview –uns  Komponisten in Bezug auf die Gattung ‚Kunstlied’ im Nacken sitze.

 

 

Eine weitere Schwierigkeit stellte für mich die im Auftrag formulierte zeitliche Zuordnung dar: „nach  1945“ - eine Zuordnung, die natürlich unweigerlich die Frage nach dem ‚Davor’ aufwirft und damit auch die Frage nach dem Grund dieser zeitlichen Zäsur, die mit dem Datum ‚1945’ angesprochen ist; was wiederum die Frage nach sich zieht, wie man es selber halten will mit diesem Datum, und für welchen Bezug man sich entscheidet, - ob tatsächlich für das ‚Danach’  und damit für den ‚Neuanfang’ („Auferstanden aus Ruinen“ wie es später in der Nationalhymne der DDR heißen wird), für die ‚Stunde Null’ (von der übrigens auch bei Karl Heinz Stockhausen die Rede ist, wenn er 1953 formuliert: “Die ‘Städte sind radiert’, und man kann von Grund auf neu anfangen ohne Rücksicht auf Ruinen und ‘geschmacklose’ Überreste” , eine ‚Stunde Null’, die auch die Künstlergruppe ZERO - Nomen est Omen -  1959 als eine Art Programm ausrufen wird …  „als könne ein Volk mit einer zweitausendjährigen Geschichte seine Uhren einfach zurücksetzen, die Ärmel hochkrempeln und so tun, als sei das Material, aus dem man sich anschickte, das Neue zu bauen, etwas anderes als die Trümmer der eigenen Vergangenheit “ so Thea Dorn zornig in einem Artikel in DIE ZEIT aus dem Jahr 2011 ) - oder doch - quasi ‚eigenmächtig’ für das ‚Davor’, das auch die Erinnerung an die NS Zeit und den zweiten Weltkrieg mit einschließt.

 

Fussnote: Natürlich war mir klar, dass die Frage, ob  (nach 1945) noch Lieder zu singen seien, vor Allem musikwissenschaftlich, aber auch ein bisschen ‚Adornisch’ gemeint war  (im Sinne von:  ist es möglich, nach 1945 überhaupt noch zu singen?)  und als Frage natürlich auch ein kleines bisschen rhetorisch.

 

Eine weitere Schwierigkeit stellte für mich die Festlegung auf die deutsche Sprache dar – und zwar aus rein musikalischen Gründen. Das Deutsche ist für mich persönlich eigentlich unsingbar in seiner Diktion. In den Kunstliedern der Romantiker funktioniert diese Sprache wunderbar, auch in vielen Eisler-Liedern, die ich zum Teil sehr mag, aber darüberhinaus? Es gibt wunderbare deutsche zeitgenössische Lyrik, aber sie ‚ver-komponieren’? In ein Lied zwängen? Die meisten Versuche, die es dazu in den letzten Jahrzehnten gegeben hat sprechen für mich eher dagegen.

(Ganz anders geht es mir mit dem  Englischen oder Französischem, das ich schon oft in Liedern verwendet habe.)

 

Aus diesem Grund erwies sich auch die Textsuche als schwieriger und langwieriger Prozess. Und obwohl ich recht schnell auf die Gedichte von Inge Müller stieß, die mich sofort faszinierten (und die mir für dieses Festival –Thema sehr passend erschienen), konnte ich mir zunächst überhaupt nicht vorstellen, wie dazu Musik zu komponieren sei und habe sie aus dem Grund immer wieder beiseite gelegt.

 

Was mir bei diesem Auftrag zusätzlich zu schaffen machte, war die extrem traditionelle bzw. traditionsbeladene Besetzung (Klavier und Stimme!),  aber auch das Wissen um den Veranstaltungs-/Aufführungsorts (HOCH-Schule – mithin ein durch und durch akademischer Rahmen) und nicht zuletzt der Gedanke an die Art der Veranstaltung selber, auf die letztendlich alles hinauslaufen würde:  das ‚bürgerliche’ KONZERT – mit all seinen Ritualen, Erwartungshaltungen, Benimmregeln…


Verhältnismäßig sicher war ich mir nur in dem, was ich nicht wollte:

Keine Parodie à la Schwitters, Jandl, Kagel und Co (obwohl ich zwischendurch aus Verzweiflung auch damit geliebäugelt hatte – auch mit dem Wissen, dass natürlich diese Form der Absurdität, diese Art der Verweigerung von Sinn immer goutiert wird), kein Zerlegen der Text-Semantik in seine kleinsten Laut-Bestandteile und das Komponieren damit, und auch keine reinen Klangexperimente. Ich wollte mit erkennbarem Text, mit ‚Inhalt’  arbeiten. Und ich wollte irgendwie all das mit in die Arbeit aufnehmen, was mir so schwer an diesem Auftrag schien.

 

Die ‚Rettung’ brachte schließlich der Gedanke, mich vom Lied – d.h. von der Einheit von Text und Musik , wie sie für das Lied konstitutiv ist, zu verabschieden und mit verschiedenen  Texten und unterschiedlichen Textgenres zu arbeiten (inclusive einiger sogenannter Volksliedtexte). Das eröffnete mir die Möglichkeit, theatraler denken und erzählerische Bezüge zwischen den verschiedenen Texten, der Musik und  der‚Szene’ herzustellen zu können: manchmal kommentiert die Musik den Text, manchmal konterkariert sie ihn oder stellt ihn in Frage und umgekehrt. Zudem habe ich irgendwann im Verlauf der Arbeit den Entschluss gefasst, die meisten Texte nur sprechen zu lassen (s. o.), d.h. gesungen wird fast nur auf Vokalisen. Das gab mir die Freiheit, die gesungenen Partien zu gestalten wie einen Kommentar, wie eine zusätzliche Sprache.

 

 

In meiner Komposition hat die Stimme, - dadurch dass sie einer ‚Figur’ zugeordnet ist - , anders als im Kunstlied ein Geschlecht. Damit meine ich nicht die Tonlage. Ich meine den Körper. Meine Komposition ist explizit für eine weibliche Darstellerin/Sängerin geschrieben und selbst die sie begleitenden Musiker sollen im Idealfall männliche Musiker sein. D.h. die ‚ausführenden Körper’ sind mitgedacht.

 

Meine Darstellerin/Sängerin muss daher in theatraler Körperarbeit geschult sein und gelernt haben, zu sprechen, mehr noch: auf der Bühne mit Text umzugehen, sich Text ‚einzuverleiben’-, muss die Fähigkeit besitzen, auch Texte, die eigentlich aus einem ganz anderen Kontext stammen (wie z. B: die politischen Essays von Hannah Arendt, die reine ‚Schrifttexte’ sind) zu ‚ver-körperlichen’ , ihnen einen Körper zu geben. (Eine Fähigkeit,  die nur wenige Sängerinnen besitzen, weil sie dafür nicht ausgebildet werden). Und sie muss blitzschnell von einem sprechenden Körper zu einem singenden Körper werden können.

 

 

Zu guter Letzt, als ich schon fast fertig war, habe ich mich gefragt, ob mein Stück nicht möglicherweise zu ‚didaktisch’, zu ‚aufklärerisch’ geworden ist, zu ‚Vernunft-gelenkt’ und damit in gewisser Weise zu ‚bürgerlich-altmodisch’, bzw. zu sehr dem Geist der ‚Moderne’ verhaftet (die doch bekanntlich schon lange hinter uns liegt…obwohl ja  hier und da auch mittlerweile von einer ‚zweiten Moderne’ die Rede ist - ).

Dieser Gedanke begleitete mich die ganze Endphase meiner Komposition hindurch; noch kurz vor Schluss hatte ich in einem Akt von Unwillen dem gegenüber, was ich bis dahin gemacht hatte meine ganze Textzusammenstellung (Hannah Arendt, Inge Müller, Zizeck  etc.) ausstreichen und durch ein Anagramm von Unica Zürn ersetzten wollen. Doch dann siegte doch das ‚Sagen wollen’ und ich entschied mich für dieses Mal gegen die ‚Rätselhaftigkeit’.

 
……..

Hat die Gattung Klavierlied aus Ihrer Sicht noch Potential?


Ich bin mir nicht sicher.

‚Lieder’ (im weiteren Sinne) gibt es ja zu Hauf, jeden Tag wird gesungen, gerappt, ge-hiphopt, chansoniert, ge-liedermachert, ge-schlagert, ge-slampoertriert, ge-spoken- poetriert etc. – und das alles auch in deutsch – und zum Teil verdammt gut!

Ob es das ‚Kunstlied’, das ‚Klavierlied’ schafft, noch einmal einen (welchen?) ‚Zeitgeist’ (was auch immer das heute ist)  zu treffen, so wie es ihm für die Romantik nachgesagt wird bleibt zu fragen. Aber wahrscheinlich ist es wie bei so Vielem in unserer heterogenen Gesellschaft: in irgendeiner Nische wird sich auch das Klavierlied weiter entwickeln – auch dank der im deutschen Musiksystem bis jetzt noch verankerten Kulturförderung (die, man vergisst es so leicht zur Zeit durch TTIP auf dem Spiel steht) -  und vielleicht nicht zuletzt dank der Hugo-Wolf Akademie?

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